Petra Nöhre engagiert sich für die Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen in Neuss. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Vertreterin der Menschen mit Behinderung beim Sozialverband VDK, Kreisverband Neuss. Zudem agiert sie als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kreisgruppe Rhein-Kreis Neuss des Paritätischen.
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihr über den Runden Tisch zum Thema Inklusion in Neuss, ihren Wunsch einen Behindertenbeirat zu gründen und Themen, die sie aktuell beschäftigen.
Frau Nöhre, stellen Sie sich bitte einmal vor.
Ich bin 60 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt mit der Behinderung. Ich war eine der ersten, die in Deutschland die Peer-Counseling-Ausbildung absolviert hat. Das war 1997. Dann habe ich eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin absolviert, um anschließend im ambulant unterstützten Wohnen zu arbeiten. Diese Tätigkeit musste ich aber aus gesundheitlichen Gründen vor zehn Jahren aufgeben. Bereits in den 90er Jahren war ich im Wetteraukreis in Hessen behindertenpolitisch aktiv. Jetzt engagiere ich mich beim VDK in Neuss.
In welchem Gremium engagieren Sie sich noch für Inklusion?
Wir haben bei uns in Neuss den sogenannten Runden Tisch. Ich selbst bin bereits seit 15 Jahren Mitglied des Runden Tisches. Etwa 30 Personen gehören dem Runden Tisch an. Wir treffen uns leider nur zwei Mal im Jahr. Dem Runden Tisch gehören unter anderem der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Werkstatt und der Geschäftsführer der Lebenshilfe Neuss an. Ich würde mir allerdings wünschen, dass beispielsweise der Sprecher vom Werkstattrat und ein Mitglied des Bewohnerrates zum Runden Tisch gehören, also die Betroffenen selber und nicht die Geschäftsführer. Schade finde ich auch, dass wir keine rechtsbindende Abstimmungsmöglichkeit haben und dass wir Maßnahmen somit nicht beschließen können.
Gibt es Themen, die der Runde Tisch angeregt hat und die anschließend umgesetzt wurden?
Das Thema Leichte Sprache wird sehr gut von der Verwaltung aufgenommen. Im Vorfeld der Kommunalwahlen hat die Stadt Neuss eine Broschüre zum Thema Wahlen in Leichter Sprache erstellt. Das fand ich sehr gut. Normalerweise gibt es sogar noch ein Seminar zum Thema Wahlen. Dieses Seminar findet im Ratssaal statt, was mir gut gefällt. Da wird auch erklärt, wie sich die Verwaltung zusammensetzt, was ich sehr hilfreich finde. Da ist die Stadt Neuss dank unseres Bürgermeisters sehr entgegenkommend. Es gibt auch Seminare extra für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung oder für Menschen, die nicht so fit sind oder psychisch krank. Die Seminare sind Corona-bedingt dieses Jahr leider ausgefallen.
Einen Behindertenbeirat gibt es bisher ja noch nicht…
Ich würde mir wünschen, dass ein Behindertenbeirat gegründet wird. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass die Mitglieder selbst betroffen sind, also Beeinträchtigungen haben. Ich würde wir wünschen, dass gerade Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung mehr zugetraut wird. Meines Erachtens hat man damit in vielen Gemeinden noch Probleme.
Zudem würde ich mich auch über mehr Mitstreiter*innen und Aktive freuen, die sich für die Rechte und Belange von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Wir haben hier in Neuss einen ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten. Gemeinsam mit einem Beirat könnte er mehr bewirken.
Wenn es einen Behindertenbeirat geben würde, wäre das Thema Inklusion meiner Meinung nach auch stärker in den Medien vertreten. Das nehme ich zumindest beim Ausländerbeirat und dem Seniorenbeirat so wahr.
Was sind Themen, die Sie beschäftigen? Was sollte sich ändern für Menschen mit Beeinträchtigungen in Neuss?
Ein wichtiges Thema ist der ÖPNV. Ich bin sehr für eine autofreie Innenstadt. Autofreie Innenstädte kann man wesentlich barrierefreier gestalten als Innenstädte mit Autos. Ich möchte eine Innenstadt, die nicht von Autos, sondern von Menschen dominiert wird. Und zwar Menschen aller Schattierungen, mit und ohne Behinderung. Zudem wünsche ich mir Fahrradverleihe, wo es Räder für Menschen mit Beeinträchtigungen gibt, beispielsweise Dreiräder.
Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, sind barrierefreie Arztpraxen. Ich möchte mir eine Arztpraxis nach Qualität und nicht nach Zugänglichkeit aussuchen.
Dann würde mir sehr viel daran liegen, dass die inklusive Jugendarbeit weiter ausgebaut wird. Wir haben hier in Neuss nur ein Jugendzentrum, was wirklich Inklusion lebt. Dort gibt es zum Beispiel gemischte Theatergruppen. Wir hoffen, dass sich andere Einrichtungen ein bisschen von dem Jugendzentrum abgucken. So müssten die Jugendlichen nicht immer nach Neuss in die Innenstadt gehen, sondern könnten auch Angebote vor Ort in den Stadtteilen wahrnehmen. Auch im Sportbereich gibt es ja unheimlich viele Angebote. Aber das Leben besteht nicht nur aus Sport. Dass die Jugend beim Thema Inklusion noch mehr einbezogen wird, das wäre ein Wunsch von mir.
Ein weiteres Anliegen von mir ist das Thema Digitalisierung. Durch Corona tut sich ja schon viel in dieser Hinsicht. Dennoch sollte die Digitalisierung noch mehr ausgebaut und vor allem auch barrierefrei gestaltet werden. Insbesondere im schulischen Bereich. Es gibt unheimlich tolle Tablets mit vielen nützlichen Funktionen. Aber das Kind mit einer sogenannten geistigen Behinderung steht dann außen vor, weil es dafür keine vernünftige Software gibt. Oder der Schulträger hat das Problem übersehen und für dieses Kind keine geeignete Software angeschafft.
Was könnte helfen, um neue Aktive zu gewinnen, die sich in Neuss für das Thema Inklusion/für einen Beirat einsetzen?
Über den Paritätischen sind wir ja gut vernetzt und können da einige Sachen einbringen. Wir benötigen aber auch eine gesunde Mischung an jüngeren und älteren Menschen, die sich aktiv für das Thema Inklusion einsetzen. Diese Leute müssen gegenseitig aufeinander zugehen. Und gemeinsam an einem Ziel arbeiten.
Vielen Dank für das Interview!