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„Wir müssen noch lauter werden“

21.04.2022
Portraitbild von Sanna Meinke, Mitglied des Behindertenrates Düsseldorf

Sanna Meinke, Mitglied des Behindertenrates Düsseldorf, lebt seit sechs Jahren in der Landeshauptstadt. Sie ist sehr aktiv und engagiert sich für eine inklusive Gesellschaft. Für weitere Strecken nutzt sie einen Rollstuhl. Daher ist sie auf eine barrierefreie Umgebung und barrierefreie Verkehrsmittel angewiesen. 

Susanne Schulte-Mausbeck vom KSL Düsseldorf sprach mit Sanna Meinke unter anderem über ihr Engagement im Behindertenrat Düsseldorf, persönliche Erfahrungen rund um das Thema Mobilität und warum Menschen mit Beeinträchtigungen noch lauter werden müssen. 

 

Frau Meinke, wie sind Sie dazu gekommen, sich hier in Düsseldorf behindertenpolitisch zu engagieren?

Sanna MeinkeIch bin aus familiären Gründen vor sechs Jahren nach Düsseldorf gezogen, ursprünglich komme ich aus Hessen. Ich hatte die Vorfreude, dass ich hier in Düsseldorf weitaus mobiler und somit selbstständiger leben kann als in meinem Geburtsort. Schnell habe ich gemerkt, dass hier auch trotzdem noch viel zu tun ist.

Ich bin relativ schnell auf Menschen gestoßen, die sich behindertenpolitisch engagieren, unter anderem auf die jetzige Vorsitzende des Behindertenrates Düsseldorf. Da 2020 die Neuwahl des Behindertenrates anstand, war es eine gute Gelegenheit, mich als Mitglied dort zu engagieren. Die neue Struktur des Behindertenrates überzeugt mich sehr: Er versucht, die verschiedenen Arten und Formen von Behinderung bestmöglich abzubilden. 

Was ist Ihr Tätigkeitsschwerpunkt im Behindertenrat?

Im Behindertenrat bin ich beim Runden Tisch Verkehr aktiv. Das Arbeitsgremium trifft sich vier Mal im Jahr. Es geht um Projekte zum Thema Barrierefreiheit. Die Mitarbeiter*innen der Rheinbahn stellen uns beispielsweise ihre Pläne zur barrierefreien Umsetzung und zur Haltestellengestaltung vor. Wir können Fragen stellen. Zudem sind wir auch bei Ortsterminen, zum Beispiel an Haltestellen, dabei. 

Vor Ort kommunizieren wir unsere Bedenken und unterbreiten Verbesserungsvorschläge. Da geht es beispielsweise um Abstände. Die Mitarbeiter*innen der Rheinbahn sind sehr verständnisvoll und vereinbaren mit uns immer wieder Vor-Ort-Termine. 

Die Rheinbahn setzt nach festgelegten Standards die Barrierefreiheit um. Diese Standards sind mit dem Behindertenbeirat der letzten Wahlperiode abgesprochen worden.

Wie beurteilen Sie die Situation für Menschen mit Beeinträchtigungen in Düsseldorf in Sachen Mobilität? Können Sie auch von einem persönlichen Erlebnis berichten?

Es gibt Städte, die besser sind. Aber das bringt mir hier in Düsseldorf nichts. Ich bin gerne nach Düsseldorf gekommen, in der Hoffnung besser aktiv sein zu können und mehr zu erleben als in Hessen. 

Mein Mann und ich haben relativ schnell gemerkt, dass wir auf Barrierefreiheit im ÖPNV schon bei der Wohnungssuche achten müssen. Und sehr viele Gegenden in Düsseldorf kamen für uns nicht in Frage, weil die Haltestellen in der Umgebung noch nicht barrierefrei waren bzw. sind. 

Eine Rollifahrerin beim Einstieg in eine BahnDeshalb haben wir uns am Liniennetz orientiert. Die Wehrhahn-Linie wurde neu gebaut – mit der Vorgabe Barrierefreiheit. Wir haben uns Haltestellen der Linie angeschaut und um die Haltestellen herum eine Wohnung gesucht. 

Wir haben es uns sehr, sehr schwer gemacht, damit ich es später einfacher habe, denn es fehlen barrierefreie Wohnungen in Düsseldorf. Jetzt habe ich eine barrierefreie Haltestelle vor der Tür. Ich merke, wie viel das ausmacht. Ich kann mich selbstständig bewegen. Ich spiele Tischtennis bei Borussia Düsseldorf und kann an meiner Wohnung in die Bahn ein- und am Staufenplatz wieder aussteigen. Ich bin freier, indem ich aktiv sein kann. Und ich merke einfach, welche Erleichterung Barrierefreiheit ist. Ich muss nicht permanent jemanden um Unterstützung bitten, um aktiv sein zu können. 

Das ist genau das Problem: Es gibt bestimmte Strecken, die schon gut barrierefrei sind. Aber nicht überall. Selbst die Wehrhahn-Linie ist nicht an allen Stellen barrierefrei. Auch da muss man immer wissen, an welcher Haltestelle man aussteigen kann und an welcher nicht. Es ist immer die Herausforderung, dass man sich das alles merkt. 

Die Vorgabe der UN-BRK sah anders aus. Da wären wir dieses Jahr schon an dem Punkt, dass der öffentliche Personennahverkehr barrierefrei ist. Aber leider ist das nicht so. Das Ziel der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Rheinbahn AG ist die Herstellung einer vollständigen Barrierefreiheit im ÖPNV bis zum Jahr 2030.

Halten Sie dieses Ziel für realistisch?

Derzeit geht es beim Runden Tisch des Behindertenrates viel um das Thema barrierefreie Haltestellen. Die Rheinbahn muss in Düsseldorf dringend noch mehr Barrierefreiheit umsetzen. Dabei geht es nicht nur um Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer, sondern zum Beispiel auch um die Umsetzung von Blindenleitsystemen. Die Rheinbahn versucht den neuesten Stand umzusetzen, beispielsweise Blindenleitsysteme, die erfühlbar sind. 

Ich hoffe, dass die Rheinbahn gut im Zeitplan ist. Mir wäre es lieber, wenn es schneller ginge, weil ich mich dann freier in Düsseldorf bewegen könnte. 

Zudem hoffe ich, dass die Menschen, die Barrierefreiheit benötigen, noch lauter werden. Je hörbarer wir mit unseren Behinderungen werden, desto klarer wird es, dass wir keine schweigende Mehrheit sind, die einen Goodie bekommt, sondern, dass es um das Recht auf Teilhabe geht. Das Recht zu bekommen, selbstständig, frei und aktiv in der Stadtgemeinschaft leben zu können.

Neben öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es ja seit einiger Zeit E-Scooter, mit denen sich Menschen fortbewegen, die aber oftmals aber auch nur im Weg stehen. Wie hat sich der Behindertenrat bei diesem Thema eingebracht?

Das Thema E-Scooter war ein großes Projekt des Behindertenrates im vergangenen Jahr. E-Scooter behindern oftmals Menschen mit Beeinträchtigung. Beispielsweise können Menschen mit Sehbeeinträchtigung über die E-Scooter fallen oder Menschen im Rollstuhl kommen nicht weiter. Dies habe ich gegenüber der Stadtverwaltung sehr bildhaft dargestellt. Die Mitarbeiter*innen haben das Problem erkannt und sind bei diesem Thema sehr zugänglich.

Parkzone für E-Scooter; ein E-Scooter steht in einem mit Absperrgittern abgetrennten Bereich

Im Innenstadtbereich sind daher Haltezonen für E-Scooter eingerichtet worden. Gut wäre es, wenn auch in den Stadtteilen Haltezonen eingerichtet werden würden. Der Wille ist da, eine gute Lösung zu finden und unsere Erfahrungen und unser Wissen werden wertgeschätzt. Das finde ich sehr angenehm. 

 

 

 

Nicht nur E-Scooter behindern oftmals Menschen mit Beeinträchtigung, sondern auch Autos, die an Stellen parken, wo es offiziell nicht erlaubt ist. 

Genauso ist es. Beispielsweise können viele Busse nicht ordentlich an den Haltestellen halten. Obwohl viele Bushaltestellen inzwischen mit Sperrflächen gekennzeichnet sind, kommen die Busfahrer*innen nicht nah genug an die Bordsteine heran. Somit muss ich oftmals von einem hohen Bordstein auf die Straße fahren und dort warten. Das liegt nicht an der mangelnden Barrierefreiheit der Busse oder Haltestellen, sondern an den Autofahrern. Die Autos stehen im Weg und stellen an den Spitzen die Haltestellen zu. Der Bus kann ja nicht in die Bucht hinein- und wieder heraushüpfen. 

Somit ist bestimmt Bewusstseinsarbeit ein wesentlicher Teil Ihrer Aufgabe im Behindertenrat?

mit Absperrgittern zugestelltes Blindenleitsystem in der Düsseldorfer AltstadtWir versuchen permanent auf unsere Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Beispielsweise sind in der Düsseldorfer Altstadt Absperrgitter im Bereich des Blindenleitsystems abgestellt worden. Viele Menschen haben keinen bösen Willen, sondern sind sich nicht darüber bewusst, dass sie mit ihrem Tun andere behindern. Diese Bewusstseinsarbeit ist etwas, was wir im Behindertenrat immer wieder versuchen. Aber da sind wir auch viel auf Unterstützung angewiesen. Wir müssen immer wieder klarmachen, was Behinderung darstellt. 

Das ist viel Arbeit. Vieles muss noch viel mehr öffentlich gemacht werden – beispielsweise warum Dinge im öffentlichen Raum so viel Platz brauchen und warum Dinge im öffentlichen Raum so gestaltet sind, wie sie sind.  

Es ist allerdings nicht nur die Aufgabe des Behindertenrates, sondern sämtliche Menschen mit Beeinträchtigung sind immer wieder gefordert, Menschen ohne Beeinträchtigung zu sensibilisieren: „Du als Person, die da parkt, bist diejenige, die gerade andere behindert. Mit deinem Tun machst du Barrierefreiheit, die umgesetzt worden ist, wieder zunichte.“

Dieses Wissen anderer Menschen, was uns das Leben erleichtern würde, ist oftmals nicht da. Daher müssen wir noch lauter werden. 

Vielen Dank für das Interview.

Kontakt zum Behindertenrat Düsseldorf:
Telefon: 0211 89-25858
E-Mail: behindertenrat@duesseldorf.de

 

Bild 1 und 2: Portraitbilder von Sanna Meinke (privat und KSL Düsseldorf)
Bild 3: Eine Rollifahrerin beim Einstieg in eine Bahn (privat);
Bild 4: Scooter-Parkzone an der Heinrich-Heine-Allee gegenüber der Oper in Düsseldorf (© Gacel Schömburg/Connected Mobility Düsseldorf);
Bild 5: zugestelltes Blindenleitsystem in der Düsseldorfer Altstadt (privat)