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03.09.2020
Petra Bömkes

Petra Bömkes engagiert sich seit mehr als zehn Jahren im Beirat der Menschen mit Behinderung in Wuppertal. Seit September 2019 ist die pensionierte Lehrerin und Mutter einer schwerst-mehrfachbehinderten Tochter erste Vorsitzende des Beirates. 
Das KSL Düsseldorf sprach mit ihr über ihre persönliche Motivation im Beirat tätig zu sein, die Zusammenarbeit mit der Stadt Wuppertal und Anliegen für die Zukunft.

Frau Bömkes, was war der Auslöser für Ihr Engagement im Beirat?
Mich politisch zu engagieren ist mir wichtig. Der Auslöser, mich im Beirat zu engagieren, war meine schwerst-mehrfachbehinderte Tochter. Sie ist die jüngste von drei Kindern. Und ich war dann auf einmal mitten im Thema. Sie wird jetzt 35 Jahre und ich war damals wirklich Einzelkämpferin. Es gab keinerlei Vernetzung, es gab keinerlei Therapieangebote, zumal sie eine relativ seltene Schwerbehinderung hat. Das musste ich mir alles mühsam zusammensuchen. Es gab auch keine Möglichkeit, sie in einem Kindergarten unterzubringen. Deshalb haben wir vor mehr als 30 Jahren mit damals sieben Mitgliedern einen Verein gegründet und hier in Wuppertal den zweiten integrativen Kindergarten gebaut. Er existiert immer noch. 
Seit mehr als zehn Jahren engagiere ich mich nun im Beirat der Menschen mit Behinderung. 

Ihre Motivation, in den Beirat zu gehen, waren neben Ihrem Interesse an Politik also vor allem persönliche Gründe?
Es war vor allem die Erfahrung, dass ein Mensch mit Behinderungen genau die gleichen Bedürfnisse und Rechte hat, wie jeder andere Mensch auch. Das erfährt man natürlich hautnah, wenn man ein Kind mit so einer schweren Behinderung hat. Das aber auch Lebensfreude hat. Das traurig ist, das glücklich ist, das sich entwickelt, oder auch mal nicht so. Aber das es letztendlich einfach ein Kind ist, ein Mensch ist. Und das ist mir auch bei meiner Arbeit immer wichtig. Also immer zu sehen, welche Möglichkeiten ein Mensch hat. Und nicht die Defizite. Wenn man nicht selber seine Interessen vertreten kann, um zu seinen Rechten zu kommen, ist es wichtig, dass Menschen da sind, die einen unterstützen, sich zu entwickeln, aber auch laut aufstehen und das bekunden.

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich schwerpunktmäßig im Beirat?
Es sind Themen, die hier aus dem Alltag entstehen, die auch aus Anfragen von Betroffenen entstehen. Themen wie Baumaßnahmen begleiten, politische Partizipation oder auch die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern bezüglich der Begleitung von schwerbehinderten Menschen. Wir haben beispielsweise auch Zielvereinbarungen mit der Sparkasse, mit der wir uns regelmäßig treffen.

Worum geht es bei der Zusammenarbeit mit der Sparkasse konkret?
Eine Zielvereinbarung ist, dass die Sparkasse ihre Auszubildenden von Beginn an im Umgang von Menschen mit Behinderungen schult. Das hat sie inzwischen eingerichtet. Fernziel wäre natürlich auch, dass es mehr Menschen mit Behinderungen gibt, die auch bei der Sparkasse eine Ausbildung und einen Arbeitsplatz finden. Aber das bleibt schwierig, weil einfach die Anforderungen unglaublich hoch sind. Da müssten alle Beteiligten kreativ passgenaue Arbeitsmöglichkeiten entwickeln. 

Finden die Anliegen des Beirates in Wuppertal Gehör? Wurde schon Vieles umgesetzt, was Sie angeregt haben?
Ja, wir existieren schon seit 20 Jahren. Wir arbeiten auch eng mit der Verwaltung, also mit der Behindertenbeauftragten, aber auch mit dem Ressort Soziales zusammen. Wir sind inzwischen auch bei vielen Bauvorhaben eingebunden, sitzen in allen Bezirksvertretungen, in vielen Ausschüssen und in vielen Fachgruppen. Und wir haben überall die Möglichkeiten, gehört zu werden. Wir waren zum Beispiel maßgeblich mitbeteiligt am barrierefreien Umbau der Schwimmoper, die ausgezeichnet worden ist und des Schauspielhauses. Wir sind auch eingebunden bei verkehrstechnischen Veränderungen und beim Neubau von Schulen und Gebäuden. Ich sitze in mehreren Arbeitsgruppen der Stadt, die für das Thema Bauen zuständig sind. Wir sind in regelmäßigem Austausch mit den Stadtwerken und mit den Verkehrsbetrieben. Wir sind ganz breit aufgestellt und wir werden gehört. Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt. Ich würde mir wünschen, dass wir längerfristig auch politisch noch mehr Gewicht bekommen. Denn wir haben bis jetzt rein beratende Funktion. 

Also dass Sie auch Stimmrecht haben?
Ja. Das wäre langfristig das Ziel. Und wir sind einfach die Fachleute. Von daher kann man uns Kompetenz auch nicht absprechen. 

Gibt es auch ein bestimmtes Ereignis, von dem Sie sagen würden, das war Ihr größter Erfolg?
Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von Erfolgen. Wie gesagt, Umsetzung von Baumaßnahmen. Dass wir politisch auch Fuß gefasst haben in vielen Bereichen der Stadt. Dass sich mit Sicherheit auch das Bewusstsein in Sachen Barrierefreiheit und gegenüber Menschen mit Behinderungen allmählich verändert. Ich glaube, das können wir schon als Erfolg verbuchen. Auch dadurch, dass wir mittlerweile an so vielen Stellen präsent sind. Das heißt nicht, dass nicht noch sehr viel zu tun wäre. Politische Arbeit ist immer ein mühsames Geschäft. Man braucht viel Geduld. Aber es haben viele kleine Schritte dazu geführt, dass es bis heute eine deutliche Veränderung in Richtung Barrierefreiheit gegeben hat. 
Ein Beispiel hierzu: Wir nehmen als Beiratsmitglieder auch regelmäßig Ortstermine wahr. Wir waren kürzlich mit Personen von der Stadt und mit dem entsprechenden Architekturbüro in Barmen auf dem Werth. Das ist eine große Einkaufsstraße, die komplett neugestaltet werden soll. Wir waren hinzugebeten worden, um die Barrierefreiheit zu beurteilen. Es gab einen guten Austausch und ich hoffe, dass das auch so umgesetzt werden kann. Das sind solche positiven Beispiele. Dass wir im Vorfeld und schon bei den ersten Planungen berücksichtigt werden. Bevor Maßnahmen umgesetzt werden. Das würde ich mir noch öfters wünschen. 

Kommt die Stadt von sich aus aktiv auf Sie zu?
Inzwischen kommt sie häufiger von sich aus auf uns zu. Wir würden uns eine noch größere Selbstverständlichkeit wünschen. Das hat aber auch ganz viel mit der Arbeit unserer Behindertenbeauftragten zu tun, mit der wir auch sehr eng zusammenarbeiten. Und die auch sehr engagiert ist. 

Gibt es auch etwas, was nicht gelungen ist? Ein großer Misserfolg? 
Nein, das würde ich nicht sagen, weil ja alles in Bewegung ist. Und wir bleiben zäh an Themen dran. Was uns umtreibt, ist zum Beispiel die Situation von Menschen mit schweren Behinderungen in Krankenhäusern. Da bewegt sich relativ wenig. Das hat einfach mit der Organisation von Krankenhäusern zu tun. Ein weiteres Thema, was uns umtreibt, ist die Situation von wohnungslosen Menschen mit Behinderungen. Die Übernachtungsmöglichkeiten sind für Rollstuhlfahrer*innen nicht geeignet und es ist ganz schwierig, da was zu finden. Auch da sind wir dran. Aber ich würde sagen, solange wir nicht aufgeben, gibt es keinen Misserfolg, keinen großen. 
Man muss diese Arbeit auch sehr langfristig sehen. Wir haben in 20 Jahren viel erreicht. Und ich hoffe, es wird nicht nochmal 20 Jahre dauern, bis wir auch politisch mehr Gewicht bekommen. 

Ich würde gern nochmal auf die konkrete Beiratsarbeit eingehen. Sind die Sitzungen generell barrierefrei? 
Unsere Sitzungen sind barrierefrei. Wir haben es auch erreicht, dass die meisten der Gremien, in denen wir vertreten sind, auch barrierefrei zugänglich sind. Bei einigen Bezirksvertretungen ist es noch schwierig, aber auch da sind wir dran. Auch bei Treffen und bei unseren Arbeitsgemeinschaften sind generell Gebärdensprachdolmetscher*innen vor Ort, wenn sie benötigt werden. 

Viele Beiräte haben ja Schwierigkeiten Nachwuchs zu gewinnen. Was denken Sie, was könnte helfen, um neue Aktive für die Arbeit im Beirat zu motivieren? 
Was sicherlich helfen kann, ist die persönliche Ansprache von Menschen, mit denen man zu tun hat. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr junge Menschen ehrenamtlich engagieren und vor allem auch ehrenamtlich länger festlegen. Denn eine Legislaturperiode im Beirat beträgt ja immer fünf Jahre. 

Es gibt ja auch die Möglichkeit, in Arbeitsgemeinschaften mitzuarbeiten…
Das wäre auch unsere Idee. Dass wir vor allem auch mehr junge Leute für einzelne Themen mit ins Boot holen. Ich habe zum Beispiel regelmäßigen Kontakt mit den Mitgliedern des Jugendrates, die auch durchaus interessiert sind. 
Und ich glaube, das ist auch letztendlich das Arbeiten der Zukunft. Dass wir für mehr Themenbereiche auch wirklich Arbeitsgruppen bilden, die sich intensiv mit einzelnen Themen befassen. 
Wir haben angefangen, uns regelmäßig fortzubilden. Zum Beispiel zum Thema politische Partizipation, zur Neugestaltung unserer Satzung oder zum Thema Öffentlichkeitsarbeit. Das heißt, wir haben uns auf den Weg gemacht, auch mit Arbeitsgruppen ganz gezielt an Themen zu arbeiten. 

Gibt es für Sie persönlich besondere Erlebnisse im Beirat? 
Ich lerne immer noch dazu. Auch im Umgang mit meiner Tochter. Dass sich ihre Bedürfnisse nicht unbedingt mit meinen decken. Und ihre Vorstellung vom Leben sich nicht mit meiner deckt. 
In den letzten eineinhalb Jahren habe ich eine ganz zentrale Erfahrung in unserer Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit gesammelt. Ein gehörloser Kollege ist dort mit dabei. Wir haben auch immer Gebärdendolmetscher*innen dabei. Aber die Kommunikation ist - das musste ich auch lernen – einfach anders. Das heißt, gesprochene Sprache ist nicht gleich Gebärdensprache. Ich habe mir angewöhnt, explizit nochmal bei bestimmten Dingen nachzufragen. Auch wenn ich zum Beispiel Mails schreibe, muss ich sie anders strukturieren, auch einfacher strukturieren, damit sie auch verstanden werden. Das heißt, ich bin sehr viel achtsamer in der Kommunikation und mache mir sehr viel mehr Gedanken, dass das, was ich transportieren möchte, auch wirklich so beim anderen ankommt. Das war für mich nochmal ein ganz gewaltiger Lernschritt. Und ich finde alles, was ich in dem Zusammenhang erlebe, einfach unglaublich spannend. Einfach auch den Blick auf Bedürfnisse von anderen zu richten. 
Ich begegne natürlich auch Behinderungsformen, mit denen ich bisher nicht so vertraut war. Und das weitet meinen Blick einfach nochmal. Der Bereich Behinderung ist ja sehr vielfältig. Es ärgert mich oft, dass er vielfach reduziert wird auf Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Mein Anliegen ist auch, wirklich den Blick zu öffnen und zu sensibilisieren, dass es eine Vielfalt von Behinderungen gibt. Dass wir auch die Bedürfnisse und Rechte dieser Menschen berücksichtigen müssen. Das langfristige Ziel ist eigentlich, dass unsere Arbeit im Beirat irgendwann nicht mehr notwendig ist, weil die Vielfalt der Gesellschaft, gerade was auch Behinderungen anbelangt, selbstverständlich ist. Und in der auch ein akzeptierendes Umgehen miteinander möglich ist. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt zum Beirat der Menschen mit Behinderung Wuppertal:
E-Mail: beirat-der-menschen-mit-behinderung@stadt.wuppertal.de
Telefon: 0202-724911