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30.03.2023
Logo Persönliches Budget

Mit Leistungen, die in Form eines Persönlichen Budgets bewilligt wurden, kann nach einem Urteil des Sozialgerichts Augsburg regelmäßig nicht aufgerechnet werden (SG Augsburg, Urteil vom 09.02.2023, S 6 SO 126/21).

Worum geht es?
Der dort beklagte Träger der Eingliederungshilfe hatte Budgetleistungen für Juli 2021 nicht ausgezahlt, sondern mit ihnen gegen seiner Meinung nach zweckwidrig verwendete Leistungen für März 2021 aufgerechnet. Dabei hatte er sich auf eine Passage in der Zielvereinbarung berufen.

Das Gericht hat zwar die Klage des Budgetnehmers abgewiesen, soweit dieser für Teile des März 2021 die Finanzierung von durch einen Dienstleister erbrachte Assistenzleistungen im Krankenhaus begehrte (Zu dieser Frage wird eine weitere Besprechung folgen). Es verurteilte allerdings den beklagten Träger der Eingliederungshilfe, an den Kläger die für Juli 2021 bewilligten Budgetleistungen von rund 20.000 Euro vollständig auszuzahlen.

Die Entscheidung des Gerichts

Eine Aufrechnung hält das Gericht aus mehreren Gründen für nicht zulässig. Die Unzulässigkeit begründet es im Wesentlichen mit drei Überlegungen. Es beginnt mit Ausführungen zum öffentlich-rechtlichen Vertrag, schließt allgemeine Überlegungen zur Aufrechnung an und endet mit Erwägungen zum Zweck eines Persönlichen Budgets sowie den darin enthaltenden Leistungen. Bereits diese Überlegungen verwehren es dem Kostenträger, mit laufenden Budgetleistungen aufzurechnen. Die Ausführungen zum öffentlich-rechtlichen Vertrag und zu den allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung stützen dieses Ergebnis.

Aufrechnung widerspräche dem Zweck der Budgetleistungen

Entscheidend spreche der Zweck der bewilligten Leistungen gegen eine Aufrechnung. Zweck eines Persönlichen Budgets sei es nämlich, „die im Gesetz garantierte selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung [der] Lebensumstände besser zu verwirklichen“. Dieser Zweck könne nicht erreicht werden, wenn die Budgetleistungen nicht verlässlich zur Verfügung stünden, weil mit ihnen jederzeit aufgerechnet werden könnte. (oder in den Worten des Gerichts: „[…] wenn diese Leistungen beliebig zur Disposition gestellt werden könnten“). Deswegen stehe einer Aufrechnung mit Leistungen der Eingliederungshilfe jedenfalls im Ergebnis § 107 Abs. 2 SGB IX entgegen.

Im Anwendungsbereich des SGB XII stehe auch §26 Abs. 4 SGB XII einer Aufrechnung entgegen, soweit dadurch der Gesundheit dienende Leistungen gefährdet würden. Diese Vorschrift gelte ihrem Zweck nach nicht nur für „Hilfen zur Gesundheit“ nach dem 5. Kapitel des SGB XII, sondern weitergehend auch für Leistungen zur Hilfe zur Pflege nach dem 6. Kapitel es SGB XII sowie für Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§53ff. SGB XII in der bis Ende 2019 geltenden Fassung. Auch mit der Verschiebung der Eingliederungshilfeleistungen aus dem SGB XII ins SGB IX habe keine einfachere Aufrechnung ermöglicht werden sollen.

Im Ergebnis sei der Kläger im Falle einer Aufrechnung als hilfebedürftig im Sinne des §107 Abs. 2 SGB IX zu behandeln. Das gelte auch dann, wenn er zwar seien Lebensunterhalt selbst decken könnte, nicht aber seinen Pflege- und Teilhabedarf. Zwar sei der für die Kosten der Lebenshaltung zuständige Kostenträger für Pflege- und Teilhabebedarf nicht leistungspflichtig. Allerdings bleibe der Träger der Eingliederungshilfe bzw. der Pflegeleistungen weiterhin leistungspflichtig, soweit der Kläger seinen diesbezüglichen Bedarf infolge der Aufrechnung nicht decken könne. Diese Überlegung führe dazu, dass diesen Trägern eine Aufrechnung versagt bleiben müsse.

Auch die hier nur vorläufig erbrachten Leistungen für März 2021 änderten an diesem Ergebnis nichts. Zwar ermögliche § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB I die Anrechnung (nicht: Aufrechnung) von vorläufig erbrachten Leistungen. Diese Erleichterung gelte aber nur im Verhältnis zu abschließend zu erbringenden Leistungen für denselben Zeitraum, für den vorläufige Leistungen erbracht worden waren. Eine Aufrechnung mit Leistungen für andere Zeiträume könne darauf nicht gestützt werden.

Eine Aufrechnung aufgrund von Zielvereinbarung umgeht Schutzvorschriften

Es sei rechtlich nicht abschließend geklärt, inwieweit die Umsetzung eines Persönlichen Budgets überhaupt durch öffentlich-rechtlichen Vertrag (sprich: durch eine Zielvereinbarung) anstatt durch einen Verwaltungsakt geregelt werden dürfe.

Zumindest dürfe der Kläger bei Leistungen, auf die Rechtsanspruch bestehe, durch die Zielvereinbarung nicht schlechter stehen, als wenn ein Verwaltungsakt mit zulässiger Nebenbestimmung erlassen worden wäre. Die Voraussetzzungen einer zulässigen Nebenbestimmung [z.B. Aufrechnung gerade durch Willenserklärung statt durch Verwaltungsakt, Ermessensausübung] dürften nicht durch eine Zielvereinbarung umgangen werden. Vor allem dürfe nicht die Schutzvorschrift des §51 Abs. 2 SGB I umgangen werden. Danach darf die Aufrechnung mit laufenden Sozialleistungen nicht dazu führen, dass der Leistungsbezieher hilfebedürftig wird.

Allgemeine Voraussetzungen der Aufrechnung liegen nicht vor

Die allgemeinen, zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Aufrechnung lägen außerdem in der entschiedenen Konstellation nicht vor, so das Gericht  (vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen §387 BGB). So sei ein Persönliches Budget eine eigene Leistungsart, die neben den Sachleistungen (einschließlich den Dienstleistungen) und den Geldleistungen stehe. Damit sei ein Persönliches Budget nicht gleichartig mit der hier nach Meinung des Beklagten zu erstattenden Geldleistung.

Zumindest bei trägerübergreifenden Budgets handele es sich nach Ansicht des Gerichts im Übrigen nicht um „gegenseitige“ Forderungen. Ein trägerübergreifendes Budget enthalte eben nicht nur Leistungen eines einzigen Trägers, sondern Leistungen verschiedener Träger gingen in einer „Komplexleistung“ auf.

Das meint das KSL Arnsberg dazu

Große Teile des Urteils beschäftigen sich mit der Frage, weshalb dem Kläger keine Budgetleistungen während eines Krankenhausaufenthalts zustehen (sollen). Dazu wird noch ein weiterer Kommentar in einer der nächsten Ausgabe von „Gut zu wissen“ folgen.

Die Frage der Aufrechnung ist demgegenüber eher eine Ergänzung. Erfreulich ist die Entscheidung insoweit trotzdem unter zwei Gesichtspunkten: Erstens zeigt sie auf, dass Zielvereinbarungen nur wirksam sind, soweit sie übergeordneten Rechtsvorschriften genügen. Zweitens betont das Gericht, dass der laufende Teilhabe- bzw. Pflegebedarf auf jeden Fall gedeckt werden muss.

Um letzteres Ergebnis zu erreichen, greift das Sozialgericht Augsburg auf zwei Vorschriften zurück, die beide nicht direkt die Aufrechnung von Leistungen der Eingliederungshilfe betreffen. Einmal untersagen sie die Pfändung und Übertragung von Ansprüchen der Eingliederungshilfe (§ 107 Abs. 2 SGB IX); einmal betreffen sie zwar die Aufrechnung, allerdings bezogen auf Leistungen nach dem SGB XII (§26 Abs. 4 SGB XII).

Das Ergebnis ist zu begrüßen. Methodisch wären noch ein oder zwei Sätze wünschenswert gewesen, weshalb die beiden Regelungen über ihren Wortlaut hinaus angewendet werden konnten.

Die Hinweise auf die Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Vertrags und zu denjenigen der Aufrechnung sind eine Folge des Persönlichen Budgets als eigenständige Leistungsform – eine logische Folge aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.01.2021, 8 SO 09/19.